Kritik an der Veranstaltung zu Radikalisierungsprävention der FH Erfurt

Posted: November 12th, 2021 | Author: | Filed under: Allgemein | Kommentare deaktiviert für Kritik an der Veranstaltung zu Radikalisierungsprävention der FH Erfurt

Am 2.11.21 fand eine von der Hochschulleitung der Fachhochschule Erfurt initiierte Veranstaltung zum Thema „Radikalisierungsprävention“ statt. Die Hochschulgruppe Naturfreundejugend (International Young Naturefriends) kritisierte in einem Statement Inhalt und Ablauf der Veranstaltung:

Statement zur Informationsveranstaltung „Radikalisierungsprävention“

Am 02.11. wurde von der Hochschulleitung der Fachhochschule Erfurt gemeinsam mit Miriam Müller-Rensch (Forschungsstelle RUK) und dem Diversitätsbeauftragten Karl-Heinz Stange zu einer hochschulübergreifenden Info-Veranstaltung zur „Radikalisierungsprävention“ eingeladen. Alle Lehrveranstaltungen sollten dafür unterbrochen werden und die gesamte Hochschule daran teilnehmen. Diese Veranstaltung bekam also einen hohen Stellenwert.
Wir haben diese Einladung als Hochschulgruppe begrüßt. Debatten, vor allem auch politische Debatten an der Hochschule, finden wir wichtig und richtig. Diskriminierende und rassistische Vorfälle am Campus sind keine Seltenheit. Dies zeigen jüngste Beispiele, wie etwa faschistisch anmutenden Flyer einer Fachschaft, beschämende Kreideaktionen und allgemein rassistische, sexistische und antisemitische Äußerungen und Kommentare im Umfeld der FH, auch im Verlaufe der Veranstaltung.1
Unsererseits gibt es jedoch einiges an Kritik zum Ablauf und dem Inhalt der Veranstaltung.
Im Zuge des Inputs von Frau Müller-Rensch wurde zur Einordnung von politischem Extremismus in Deutschland die Hufeisen-Theorie genutzt. Das ist eine Perspektive der Extremismustheorie, welche besagt, die Gesellschaft sei politisch wie ein Hufeisen aufgebaut: Die „gute“ bürgerliche Mitte stellt die Basis der demokratischen Gesellschaft dar, die von den „bösen“ extremistischen Rändern von rechts und links bedroht wird. Diese Ansicht ist in der Wissenschaft umstritten und gilt als überholt.2 Menschenfeindliche Einstellungsmerkmale sind in weiten Teilen der Gesellschaft verbreitet und nicht nur an einem gedachten Rand. Damit ist das Problem mit Rassismus und Rechtsextremismus kein Randphänomen, dass „Andere“ betrifft. Menschenverachtende Ideologien sind nicht außerhalb einer „Mitte“ verortet. Menschenfeindliche Einstellungen sind tief in unsere Gesellschaft eingeschrieben (durch unsere Sozialisation und damit auch in unseren Institutionen) und wir müssen uns alle damit auseinandersetzen.
Zwar erfolgte im Vortrag als Reaktion auf die Nachfrage, zur Anwendung der Hufeisen-Theorie eine Verneinung. Das Gegenüberstellen von Straftaten der politisch eingeordneten Ränder während der Veranstaltung impliziert jedoch den Rückgriff auf genau dieses Modell. Alle Straftaten wurden zudem als „gleich schlimm“ betitelt. Hier erfolgte weder eine Differenzierung der Schwere der Straftaten noch eine Definition, um welche Straftatenbestände es sich eigentlich genau handelt. Dies wäre jedoch entscheidend bei der Bewertung. Und es macht einen deutlichen Unterschied aus, ob an einer Sitzblockade teilgenommen oder ein Brandanschlag auf ein Flüchtlingsheim verübt wurde.
Eine solche Gleichsetzung von rechts und links in Zeiten rechten Terrors (NSU, Hanau, oder Halle) und in denen faschistische Parteien von der „normalen Zivilgesellschaft“ legitimiert werden, ist für uns nicht nur überholt und unangemessen, sie ist für uns auch nicht tolerierbar.
Wir halten es zudem für fragwürdig ausschließlich Statistiken des Bundesamtes für Verfassungsschutz, spätestens seit dessen Unterstützung des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ durch V-Männer, heranzuziehen.3

In der Info-Veranstaltung wurde „Antifaschismus“ von einigen Teilnehmenden im Chat als extremistisch geframet und damit delegitimisiert.
Die freiheitlich- demokratische Grundordnung, von denen sich der Extremismus distanziert, ist antifaschistisch. Sich gegen Faschismus zu stellen ist sicher auch in dieser Hochschule Konsens, es bleibt jedoch notwendig sich gegen Ungerechtigkeiten und Benachteiligung einzusetzen. Dabei funktioniert Antifaschismus nicht als Lippenbekenntnis, sondern als Aktion. Formen zivilen Ungehorsams sind nicht nur ein Grundrecht, sondern legitimes Mittel. Antifaschistische Arbeit ist und bleibt wichtig. Sie erkennt und kritisiert rassistische und diskriminierende Strukturen innerhalb der Zivilgesellschaft und in staatlichen Institutionen und sie versucht, eben jene Minderheiten, welche täglich von Diskriminierung und Rassismus betroffen sind, zu schützen.

Wir erwarten von unserer Hochschule und deren Leitung: Eine differenziertere Auseinandersetzung mit politischer Theorie, ein entschiedenes Einschreiten bei menschenfeindlichen Aussagen und Taten und dass ein Wandel innerhalb der Hochschule geschieht und gelebt wird. Dazu braucht es eine Solidarisierung mit antifaschistischer Arbeit und keine Kriminalisierung.

Hochschulgruppe Naturfreundejugend (International Young Naturefriends)

1 Informationsveranstaltung zur Radikalisierungsprävention, 02.11.2021, Fachhochschule Erfurt, siehe Chatverlauf.
2 Uhlig, Berendsen, Rhein 2019: Extrem unbrauchbar. Über Gleichsetzungen von links und rechts.
Decker, et al. 2010: Die Mitte in der Krise. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland.
Stöss 2015: „Kritische Anmerkungen zur Verwendung des Extremismuskonzepts in den Sozialwissenschaften“, für: Bundeszentrale für Politische Bildung, unter: https://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/200099/kritische-anmerkungen-zur-verwendung-des-extremismuskonzepts-in-den-sozialwissenschaften, Zugriff: 03.11.2021.
4 Pau, Renner, 2021; „Versagen und Vertuschen“; https://www.linksfraktion.de/themen/nachrichten/detail/versagen-und-vertuschen-die-rolle-des-verfassungsschutzes/ Zugriff 07.11.2021.


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